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Wiedmanns Weihnachtsgeschichte

von Daniel Rossa


Der von mir andernorts beschriebenen Verkündigungsszene zwischen Maria und Gabriel, folgt der Weg von Josef und Maria nach Bethlehem, dessen Silhouette nur im Hintergrund am Betrachter vorbeizieht.


Jesu Geburt im (angedeutetem) Stall schließt sich an. Rechts ein Holzpfosten, an dem so etwas wie eine Laterne hängt; links deutet der Schriftzug „Jesus“ den Stall als Bretterverschlag an.


Das „U“ bildet dabei die Mulde der Futterkrippe, in die hinein Jesus als neu geborenes Baby gelegt worden ist, so wie Lk 2,7 erzählt. Allerdings fehlen hier die dort erwähnten Windeln. Dafür hat Wiedmann das gängige, wenn auch unbiblische Duo, Ochs und Esel hier gleich in mehrfacher Ausführung auftreten lassen. Direkt oberhalb des nackten Knaben zeichnet sich gegen die dunkle Nacht die Gestalt eines janusköpfigen Josefs ab, der über Jesus die Wacht hält: Missmutig, mit leicht gräulichem Gesicht und irgendwie ein Stück gedrungen schaut er das Bildband zurück in die Vergangenheit, von der Körperhaltung ein wenig aufrechter in eine ungewisse Zukunft. Josefs Janusköpfigkeit bezieht sich aber sicherlich nicht nur auf beide Richtungen des Zeitstrahls, sondern spiegelt seine innere Verfassung, seinen Seelenzustand wider. Denn Josef, der selbst „wie die Jungfrau zum Kinde gekommen ist“, sieht man hier seine innerliche Zerrissenheit, seine „Ver-2-flung“ regelrecht an. Was soll er bloß glauben? Was soll er nur tun? Auch der über der Szene schwebende Stern, den Wiedmann aus Mt Weihnachtsgeschichte rund um die Sterndeuter entnommen hat (vgl. Mt 2,7-10), ist dementsprechend nicht intakt, sondern hängt „in Fetzen“. Maria, links neben Josef nur mit Kopf- und Halspartie zu sehen, vervollständigt das Bild der Heiligen Familie.


Rechts von dem Holzpfosten des Stalles waltet erneut Gabriel seines Amtes: „Vom Winde verweht“ – und damit durchaus passend, denn der hebräische Ausdruck „Geist Gottes“ (ruach ha-Elohim) kann auch so viel bedeuten, wie „sehr starker Wind“ – verkündet er den erschrocken, noch verschlafenen Hirten die Geburt des Erlösers. Der Hirte links in der Ecke der Szene weist mit ausgestrecktem Finger nach oben auf Gabriel; Gabriel seinerseits weist mit seiner Hand in Richtung der nachfolgenden Szene der Hirten am Stall. Deren Stäbe ähneln eher nach oben gerichteten Spaten und erinnern an ein ebenso aufgerichtetes Werkzeug in Wiedmanns Szene zu Kains Brudermord. Die darauf folgende Szene zeigt nicht nur die Hirten beim Stall: Auch die Magier aus dem Osten sind bereits angekommen.


Wiedmann hat sie, der volkstümlichen Tradition folgend, mit Kronen bzw. Kopfschmuck im Vordergrund unterhalb des nun zur Sternschnuppe geformten Sterns dargestellt, der sie nach Mt (2,2.9f.) führte. Zwei von ihnen strecken ihre Hand in Richtung Krippe aus, in der sie die von ihnen mitgebrachten Geschenke halten. In diesem Bild ist Jesu Krippe anders gestaltet, als in der ersten Krippenszene: Die (drei-)eckigen bunten Flächen, aus denen sie zusammengesetzt ist, erinnern an die abstrakten Flächen in Wiedmanns Darstellungen der Schöpfungserzählungen, die Gottes Segen bzw. sein Urteil „(sehr) gut“ (Gen 1,10.12.18.25.28.31) zu seiner Schöpfung symbolisieren. Den guten Willen Gottes gegenüber seiner Schöpfung lässt Wiedmann also in dieser Darstellung des geborenen Jesus nochmal auf ähnliche Weise durchscheinen.


Der großen Besuchermenge an der Krippe folgt eine kurze Darstellung einer Szene im Grünen: Eine Frau sitzt an einer Harfe in einem Garten mit einem Bachlauf, einem Baum, einem weißen Hirsch (?) und einem Lamm (?). Davon wird weder bei Mt, noch bei Lk berichtet. Wiedmanns Darstellung könnte aber als Abbildung einer Notiz von Lk aufgefasst werden: „Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.“ (2,19)

Denn bereits kurz zuvor, taucht bereits eine solche paradiesische Gartenszene auf: Unmittelbar zwischen der Szene, die ich als Empfängnis Jesu deuten würde und jener Darstellung von Gabriels Verkündigung an Maria, sitzt eine Frau zwischen zwei Pegasoi neben einem Lamm und umringt von weißen Vögeln in einer Gartenlandschaft.


Diese Szene ist unbiblisch, ließe sich aber ebenso als Ausdeutung der inneren Bewegtheit Mariens verstehen. Auch die Rede davon, dass Maria die Worte der Hirten über ihren Sohn in ihrem Herzen bewegt, macht Marias innere Bewegung deutlich. Auch sie wird von Wiedmann wieder in eine kontemplative Gartenszene verwandelt. Mit dieser Beobachtung lässt sich m.E. die Hypothese erhärten, dass Wiedmanns paradiesische Gartenszenen, die zwar dezidiert Unbiblisches darstellen, von ihm dafür gebraucht worden sind, um dieser inneren Bewegtheit Ausdruck zu verleihen.

Übrigens taucht hier wie dort nicht nur eine Frau und ein lammähnliches Tier auf: Auch Vögel treten in der hier beschriebenen, zweiten Gartenszene wieder in Erscheinung: Sie verlassen sie – gleichsam als „Zugvögel“ – zusammen mit der Heiligen Familie, die man als nächstes auf der Flucht nach Ägypten sieht (vgl. Mt 2,13-15): Man beachte die knallende Sonne am wolkenlosen Himmel, den gelben Sand, den Obelisken, sowie den Skarabäus am linken unteren Rand des Bildausschnitts.


In der letzten Bildeinheit geht das, was rechts oberhalb des ägyptischen Obelisken zu sehen ist und ein wenig wirkt, wie das Profil einer der vier großen Ramses-Statuen von Abu Simbel, über in den Hinterkopf des bitter dreinblickenden Königs Herodes, der den drei Weisen hinterherschaut, die „auf einem anderen Weg wieder in ihr Land“ (Mt 12) zurückziehen, weil Gott ihnen schließlich doch noch ein gesundes Misstrauen gegenüber Herodes eingegeben hat (vgl. Mt 2,12). – Tatsächlich misstrauten die Sterndeuter Herodes nicht ohne Grund: Denn unterhalb dieser „Abschiedsszene“ zeigt Wiedmann im Literalsinn, wie Herodes ganze zwei Jahrgänge Kleinkinder „über die Klinge springen“ lässt (vgl. Mt 2,16). Die Staffelung dieser von Wiedmann gemalten (sieben?) Klingen erinnert dabei auf unheimliche Weise an die Anordnung der Klingen bei einer Gurkenreibe oder in den auswechselbaren Köpfen moderner Rasierer von Gillette & Co. Das so angerichtete Blutbad geht bei Wiedmann in einen See aus Tränen über, die von den trauernden Müttern(?), z.T. mit vors Gesicht geschlagenen Händen, vergossen werden. Darunter, und quasi den Leib einer der „Mütter“ bildend, sind acht blonde Gesichtchen angeordnet, die von etwas umgeben werden, was an die abstrakten Flügel Gabriels erinnert. Beunruhigend ist, dass unterhalb dieser Gesichtchen bei den meisten ein roter Strich gezeichnet ist. Andernorts verwendet Wiedmann solche roten Striche durch Hals oder Leib, um anzudeuten, dass jemand enthauptet wurde, etwas geschlachtet bzw. geopfert worden ist. Stellt Wiedmann hier etwa am Ende der Weihnachtsgeschichte die toten Kinder als unschuldige, aber geköpfte Englein dar?


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