Eine Betrachtung von Wiedmanns Darstellung der Speisung der 5000 (Bilder 89-91 des Bandes Jesus Christus)
von Daniel Rossa
(Anm.d.R. für nötiges, theologisches Hintergrundwissen klicken Sie bitte hier: Die Speisung der 4000 und jene der 5000)
Vergleicht man Wiedmanns Darstellung der Speisung der 4000 mit jener der Speisung der 5000, so liegt der größte Unterschied darin, dass bei der Speisung der 5000 Jesus nicht völlig von Volk umgeben ist, sondern sich oberhalb der Menge befindet. Die Szene ist auf zwei Blättern dargestellt, Jesus selbst befindet sich auf der gemeinsamen Mittelachse der Gesamtbildfläche.
Dass sich das Volk nur im unteren Bildteil befindet, also nur eine Hälfte des Bildes einnimmt, kann vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass sich Jesus hier noch als allein zu den Juden gesandt versteht – und damit allenfalls zur (quantitativ nicht mal) einen Hälfte der Menschheit. Vielleicht bleibt bei Wiedmann deshalb die andere, obere Hälfte des Bildes dem himmelblau überlassen.
Während man die Speisung der 4000 wegen der beiden Diagonalen, die die Bildfläche in Norden, Süden, Westen und Osten aufteilt, als eine kartographische Draufsicht lesen kann, ist das bei Wiedmanns Darstellung der Speisung der 5000 nicht möglich. Sie bildet eine Landschaft: Im Vordergrund die Ufer des Sees Genezareth, auf dem die Jünger links mit dem Schiff an diese „einsame Stätte“ gekommen sind (vgl. Mk 6,31f.) und die sie rechts daneben auch wieder auf dem Seeweg verlassen (vgl. Mk 6,45-52), in der Mitte eine nun durch die angezogene Volksmenge stark bevölkerte Landzunge, darüber Jesus, der vor einem abstrakten Felsen steht (ein Berg ist bei der Erzählung dieser Begebenheit durch Joh übrigens erwähnt, vgl. Joh 6,3).
Seine Beine und Füße werden durch die Volksmenge verdeckt. Aber seine beiden (hier sind es nur zwei! – also ebenfalls die Hälfte der vier Hände für die doppelten Anstrengungen bei Wiedmanns Speisung der 4000) minimalistisch „im Profil“ dargestellten Handflächen hält er zur Bitte um den Segen über die Lebensmittel (hier: links zwei Fische, rechts fünf Brote – damit begann die Speisung – und zugleich je sechs Körbe mit den „Resten“ der Speisung), die links und rechts neben ihm auf zwei fast tischartigen Podesten stehen. Zu dieser Segensgeste passt auch, dass der in diesem Bild sichtbare Ausschnitt des Himmels über der Menge zwei der charakteristischen mehrrahmigen Dreiecke zeigt, die die göttliche Wirkung symbolisieren, und hier quasi vom Himmel ihren Segen während Jesu Gebet genau auf die Lebensmittel auf den beiden Podesten „draufträufeln“.
Zwei Personen sind erkennbar, die sich aus der Menge lösen und ihre Hände jeweils nach den Lebensmitteln auf den Podesten ausstrecken. Legt man den Text von Joh. zugrunde, dann könnte es sich dabei um die beiden dort namentlich genannten Jünger Philippus und Andreas handeln, die in dieser Passage auftreten (vgl. Joh 6,5.7f.) Bei der Gestalt links könnte es sich mit Joh 6,9 aber auch um das Kind handeln, das seine Lebensmittel zur Verfügung stellt und bei der rechten Gestalt um einen exemplarisch dargestellten Jünger, die schließlich die Nahrungsmittel unter dem Volk verteilen (vgl. Mk 6,41 par).
Am Auffälligsten an dieser Darstellung ist im Vergleich zu jener der Speisung der 4000, dass Wiedmann hier anscheinend die eine Hälfte des Bildes noch für die fehlenden Menschen aus den anderen Völkern ausspart, die erst bei der Speisung der 4000 das Bild (mit)bevölkern und dass sich bei der Speisung der 5000 die Dreiecke gerade in dieser von Menschen ausgesparten Bildfläche finden, während sie erst in Wiedmanns Speisung der 4000 auf der Menge zum Liegen kommen – quasi als zusätzliche Ebene über die/auf den Menschen eingezeichnet werden: Erst in der Speisung der 4000 liegen die Ebenen der Gotteswirkung und der Menschenmenge übereinander – erst dort wird erkennbar, dass sich das Reich Gottes (bereits) unter und zwischen ihnen abspielt bzw. realisiert. Diese Deutung ist für Wiedmanns Darstellung der Speisung der 5000 überhaupt nicht möglich.