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Jesus „wie er laibt und lebt“

Aktualisiert: 29. Nov. 2021

Die Deutung von Willy Wiedmanns Bild der Speisung der 4000


von Daniel Rossa

(Anm.d.R. für nötiges, theologisches Hintergrundwissen klicken Sie bitte hier: Die Speisung der 4000 und jene der 5000)


Wiedmanns Bild ist aufgrund dessen, was dargestellt wird, gut als Speisung der 4000 – und nicht der 5000 – zu erkennen: Er hat genau sieben(!) Körbe in die vier(!) Ecken seines Bildes gezeichnet. Zudem weist sein in der Mitte dargestellter Jesus überraschenderweise vier(!) Hände auf, mit denen er die sieben(!) Brotlaibe unter den Menschen verteilt, sofern man nicht annehmen möchte, dass ein Paar davon seine Füße sind – weil die Nahrungsverteilung mit den Füßen nicht nur den Reinheitsvorschriften des Judentums widerspräche, sondern auch dem „common sense“ der Esskultur anderer Völker. Dann lässt sich die Dopplung der Hände von Jesus als die Verdopplung seiner Anstrengungen deuten, weil er sich nun ebenso den Nicht-Juden zuwendet, sich gleichsam zu Juden und Nicht-Juden gesandt empfindet.


Allerdings könnte man die Nutzung aller vier Gliedmaßen zur Nahrungsverteilung auch als eine Darstellung von Inklusion betrachten: Immerhin gibt es auch Menschen, die aufgrund körperlicher Schäden (etwa durch Contergan) lernen mussten und gelernt haben, ihr ganzes alltägliches Leben mit den Füßen zu bestreiten. Zu dieser unabhängigen Lebensführung gehört selbstverständlich auch, dass sie selbstständig ihr „täglich Brot“ einnehmen – natürlich mit den Füßen. Ihnen dafür unsere Gemeinschaft zu verwehren wäre grausam und unmenschlich.


Wenn man Jesus hier also sehen möchte, wie er mit allen vier Gliedmaßen Brot unter die Menschen verteilt, damit sie gemeinsam essen können, dann lässt sich in dieser Interpretation von Wiedmanns Darstellung der Speisung der 4000 gerade ein Zeichen dafür sehen, dass auch körperlich gehandicapte Menschen Aufnahme in die christliche Mahl- und damit Lebensgemeinschaft erfahren sollen!


Die neben der Siebenzahl entscheidende Zahl Vier wird außerdem durch die beiden Diagonalen, die zweimal von je einer der vier Ecken des Bildes zur diagonal entgegengesetzten Bildecke verlaufen, hervorgehoben: Sie weisen quasi in alle vier Himmelsrichtungen, in die sich die versammelte und abstrakt angedeutete Volksmenge erstreckt. Durch die Unterteilung des Bildes durch die Diagonale besteht sie symbolisch tatsächlich aus vier dreieckigen(!) „Quartieren“, jeweils im „kartographischen“ Norden, Süden, Westen und Osten des Bildes.


Die abstrakt angedeuteten Menschen, die sich in einer Menge um Jesus versammelt haben, stammen somit aus allen „Ecken“ der Welt – kommen zusammen aus allen Himmelsrichtungen. Auch darin drückt Wiedmanns Bild durchaus zutreffend aus, was Mk mit seiner Erzählung von der Speisung der 4000 aussagen wollte: In ihm soll Jesu Botschaft eines Lebens der Menschen im Reich Gottes, in dem Gott mitten unter ihnen wohnt, nicht mehr nur den Juden, sondern allen Völkern, allen Menschen auf Erden zuteilwerden. In der Speisung wird das (den Anwesenden) sogar erfahrbar gemacht.


Die Wirklichkeit des Reiches Gottes, das Leben in Gottes Geist, nimmt in der Mitte des Bildes seinen Lauf, an dem Ort, an dem Wiedmann Jesus darstellt, „wie er laibt(!) und lebt“: wie er den Menschen von den Lebensmitteln seiner Gemeinschaft, den sieben Brotlaiben, zu essen gibt. Es ist der Punkt, der zugleich durch die beiden Diagonalen als Bildmittelpunkt bezeichnet wird, weil sie sich in ihm kreuzen und so nicht nur im Bildmittelpunkt ein Kreuz(!) bilden, sondern zugleich den dort dargestellten Jesus, wie er in seinem Leben gegeben, geholfen und geteilt hat, kreuzigen(!), d.h. ihn als den Gekreuzigten darstellen, so dass im Gekreuzigten das Bild eines Dienenden und nicht eines Herrschenden sichtbar wird.


Das Kreuz wird damit zum Zeichen für die dienende Lebenshaltung, die Jesus in seinem Leben vorgelebt hat – ja zu ihrer letzten Konsequenz. Das entspricht der Theologie von Mk, in vollem Maße. Von Jesus als Mittel- und Initialpunkt breitet sich das Reich Gottes, den Linien, die sich aus den Bilddiagonalen ergeben haben, folgend, bis an die Ränder des Bildes aus – bis an die Enden der Erde, bis in ihre letzten Ecken und Winkel. Am Ende dieser Ausbreitung stehen die sieben über geblieben Körbe, zu denen die sieben Laibe Brot im Laufe der Ausbreitung des Reiches Gottes angewachsen sind. Die Logik im Reich Gottes ist damit antiproportional: Die Lebensmittel werden nicht knapper, je mehr Menschen zu ihm dazu stoßen; sondern je mehr es sich unter den Menschen ver- und ausbreitet, umso mehr steht für das Leben der Menschen im Reiche Gottes zur Verfügung.

Diese Logik findet eine mögliche Erklärung in der Art, wie Wiedmann die Fische, von denen bei Mk ebenfalls die Rede ist, in sein Bild eingetragen hat. Es sind nicht zwei – wie das bei der Speisung der 5000 in Mk 6,38 der Fall ist (und im übrigen auch in Wiedmanns eigener Darstellung der Speisung der 5000), sondern bei Mk ist die Rede von „einige[n] Fischen“ (8,7). Bei Wiedmann sind das fünf Fische, die gut erkennbar in der Menge umgehen. In seinem Bild ist nicht zu sehen, wie Jesus sie unters Volk gibt – von Jesus kommen hier nur die gut sichtbaren „Brotkanten“. Die Fische hingegen sind als im Volk kursierend dargestellt und sind in ihrer Darstellungsart auch eher der Art der Strichen und der Färbung nachempfunden, die Wiedmann für die Menschenmenge verwendet.


Man könnte also annehmen, dass sie für ihn aus dem Volk selbst kommen, von den Menschen selbst beigetragen werden: Vielleicht packt jeder, der was mitgebracht hat, noch sein bisschen aus und teilt es nach dem Vorbild Jesu und seiner Jünger nun mit den anderen. Dieses Wunder der Freigiebigkeit und Solidarität könnte des Rätsels Lösung sein, warum in der Gemeinschaft im Geiste Gottes, warum im Reich Gottes die Lebensmittel bei mehr Menschen nicht knapper werden, sondern mit der Zahl der Menschen wachsen.


Dass die gesamte Menge, mitsamt der durch Jesus in ihr initiierte Bewegung und ihr am Ende so ertragreicher Prozess bis in die letzten Winkel der Welt hinein in Wiedmanns Bild als Symbol für das Reich Gottes betrachtet werden kann, wird außerdem daran ersichtlich, dass sich dies alles unter dem – sogar vierfachen – Zeichen des Dreiecks abspielt, das für ihn in seinen Bildern als Symbol für die Präsenz Gottes fungiert. Und auch, dass sich hier gleich vier dieser Dreiecke finden, kann ein Hinweis auf die alles durchwirkende Macht dieser Dreiecke sein, deren ertragreiches – besser noch: reichhaltiges – Ergebnis am Ende der Zeit zur vollkommenen Vollendung („40“) gebracht ist und sich über die gesamte Erde („4“), wie hier über die gesamte Malunterlage erstreckt – nämlich auf einem der 3.333 einteiligen Blätter, aus denen die Wiedmann Bibel zusammengesetzt ist.

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