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DIE WIEDMANN BIBEL aus kunsthistorischer Sicht

Aktualisiert: 29. Nov. 2021

Ein Artikel von Kunsthistorikerin Bettina Sitter zur Sonderausstellung im Öhringer Weygang-Museum.


»›DIE WIEDMANN BIBEL‹. Die längste gemalte Bibel der Welt. Das Meisterwerk des Öhringers Willy Wiedmann«


Einführung zur Sonderausstellung im Weygang Museum Öhringen 27. November 2016 – 5. Februar 2017


Die Ausstellung widmet sich einem ebenso spannenden wie »monumentalen« Gegenstand: der Illustration der Bibel durch den Künstler Willy Wiedmann.


I. Ein Blick in die Kunstgeschichte zeigt, daß man schon in der Frühzeit des Christentums die biblischen Texte mit Bildern schmückte.1 Die berühmte »Wiener Genesis«2 wurde auf kostbar purpurfarbenes Pergament geschrieben und gemalt. Sie entstand wahrscheinlich im Gebiet von Syrien/Palästina und gehört zu den biblischen Bilderzyklen, die uns aus spätantiker Zeit überliefert sind. Wahre Glanzleistungen der Illustrations- und Illuminationskunst gab es im Mittelalter. Klöster schufen strahlend schöne Bibeln, Evangeliare und Psalterien. Diese Bücher wurden vor allem im Gottesdienst verwendet, denn nichts konnte wertvoll genug sein für die Feier der Liturgie, d.h.: für die Verehrung Gottes. Mit dem Erscheinen der gedruckten Luther-Bibel begann im 16. Jh. die weite Verbreitung der ins Deutsche übersetzten »Heiligen Schrift« und der Bilder, die den Text begleiten. Cranach, Dürer und später Matthaeus Merian d. Ä. sind herausragende Meister jener Zeiten ausschmückender Bibelgestaltung. Geradezu populär wurden biblische Geschichten im 19. Jh. durch die Künstlergruppe der »Nazarener«; das vielgelesene Werk, das Julius Schnorr von Carolsfeld mit eindrucksvollen Holzstichen ausstattete, betitelt »Die Bibel in Bildern«, gibt es auch heute noch in zahllosen Exemplaren.3 Mit starker Imaginationskraft schufen viele namhafte Künstler des 20. Jhs Bilder zum Alten und Neuen Testament, so z.B. Otto Dix, Marc Chagall, Salvador Dalí, HAP Grieshaber, Friedensreich Hundertwasser, Arnulf Rainer u.v.a.m. Maler aus unserer näheren Umgebung, nämlich Dieter Franck aus Schwäbisch Hall und Sieger Köder aus Ellwangen/Rosenberg, befaßten sich gleichermaßen schöpferisch-intensiv mit religiösen Schriften des Judentums (Kabbala) und mit der Bibel.


II. Willy Wiedmann (1929-2013) stellt sich mit seinem Bibel-Projekt also in eine reiche künstlerische Tradition. Aber nicht allein thematisch. Auch die äußere Gestalt seiner Bilderzählung, die fortlaufende Reihe, wo sich ohne Unterbrechung ein Bild und ein Motiv an das andere fügt und mancher szenische Übergang fließend wird, hat eine lange Vorgängergeschichte in der bildenden Kunst. Fachleute nennen diese Erzählform »kontinuierende Darstellungsweise«.5 Sie kennzeichnet die »Wiedmann Bibel« ebenso wie den Bilderfries der antiken Trajanssäule in Rom oder zeitgenössische Comics.


III. Was macht nun genauer betrachtet die Besonderheit der »Wiedmann Bibel« aus? – Der Künstler malte 3.333 gleich große Bildtafeln und verband sie miteinander zu einem 1.166 Meter langen Faltbuch (Leporello). Er schuf sein Werk in dem langen Zeitraum von 16 Jahren (von 1984 bis 2000). Und er führte es in seiner persönlichen »Handschrift« aus, der »Polykonmalerei«. Dieses Wort ist ein stilistischer und bildtechnischer Begriff Willy Wiedmanns. Der Begriff steht für »Mehrtafelmalerei«.6 Er bezeichnet zunächst das genannte Verfahren, bei dem viele Bildtafeln aneinandergefügt und zu einem friesartigen, reihenhaften, »kontinuierenden« Ganzen vereint werden. Hinzu kommt aber, daß die Umrißlinien der einzelnen Bildgegenstände auf ganz bestimmte Weise geformt sind: Die Konturen der gezeigten Figuren und Dinge, Menschen, Tiere, Pflanzen, das Wasser, der Himmel, sind kantig, winkelig, polygonal wiedergegeben; sie entsprechen damit nach außen den rechtwinkeligen Formatgrenzen der Bildtafeln, und gleichzeitig »antworten« sie nach innen, aufeinander. Ein Gefüge entsteht. Korrespondenzen. Eine wohldurchdachte Ordnung und Ganzheit. – Die Methode eines solchen Bildaufbaus wurzelt in der abstrakten Malerei des frühen 20. Jhs. Verwandtschaftslinien führen zu den französischen Kubisten, den russischen Avantgardisten und den deutschen Expressionisten; Wiedmanns »Polykonmalerei« geht hervor aus der Konstruktionskunst so bedeutender Maler wie Picasso, Braque, Malewitsch, Poliakoff, Schmidt-Rottluff, Franz Marc oder Adolf Hölzel.


Willy Wiedmann war vielfach begabt, ein »Multi-Talent«. Er betätigte sich nicht nur als Maler, sondern auch als Bildhauer, Schriftsteller, Galerist, Musiker und Komponist.8 In den 1950er und 60er Jahren hatte er in Stuttgart an der Musikhochschule studiert sowie an der Akademie der Bildenden Künste, dort auch bei dem sehr prominenten Willi Baumeister (1889-1955). Baumeister war Schüler von Adolf Hölzel (1853-1934) gewesen, einem Pionier der modernen Malerei in Deutschland. Auch im Werk von Baumeister und Hölzel kommen religiöse Themen vor.


IV. Besonders bemerkenswert scheint mir bei alledem noch etwas anderes. Es betrifft den Anspruch des Werkes. Wiedmann will mit seiner Bilderbibel ausdrücklich die christliche Botschaft weitertragen. 3.333 Bilder malte er – nicht zufällig. Aus dieser Zahl spricht christliche Symbolik: Die 3 verweist auf die Trinität, den dreifaltigen, dreieinen Gott, den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist. 4 mal erscheint die Zahl 3 für alle 4 Himmelsrichtungen, denn der christliche Auftrag ist missionarisch: Jesus von Nazareth lehrte seine Jünger und sandte sie aus, damit sie in der ganzen Welt die Heilsbotschaft verkünden. Bilderzählung und »kontinuierende« Form der »Wiedmann-Bibel« streben ihrerseits ins Unendliche, sie wollen über alle Grenzen hinausreichen. In diesem Sinn mag das Kunstwerk nicht nur »die längste gemalte Bibel sein. Die Absicht geht vielmehr dahin, die Frohe Botschaft umfassend, gleichwie »universal« ins Bild zu bringen.


Um diesem Anspruch gerecht werden zu können, bedarf es freilich einer Bildsprache, die verständlich ist. Wiedmanns Bilder sprechen wortlos, doch eingängig zu Jungen und Alten, »Eingeweihten« und Nicht-Bibel-Kennern. Und sie sind überaus reich an überraschenden Details. Sie sind erzählfreudig. Sie wirken phantasieanregend auf uns Betrachter ein. Reichtum und überbordende Fülle der Darstellung haben zudem, so meine ich, eine geschichtstheologische Begründung: Alles Sein und jedes Geschehen, die ganze Schöpfungs- und Menschheitsgeschichte mit allen ihren Ausprägungen, Höhen und Tiefen, mit allen Wirrnissen und Wunderwerken, wird als Geschichte auf das eine, letztgültige und rettende Ziel hin gesehen – auf Jesus Christus hin.


Die Bilderbibel von Willy Wiedmann will uns zum Schauen einladen. Sie bietet uns viel Anregendes für Gespräche miteinander. Lassen wir uns hineinnehmen in ihren »Erzählstrom«, ganz nach dem Motto: Erforsche die Bibel!


1 Literarische Quellen berichten über entsprechende Handschriften seit dem 3. Jh. — Zur Einführung in den Themenzusammenhang seien für kunsthistorisch Interessierte die folgenden Artikel empfohlen: a) Lexikon der Kunst, Neubearb., Bd. 1 (München 1996), s. v. Bibelillustration, S. 528-529; b) Reallexikon zur Deutschen Kunst- geschichte, Bd. 2 (München 1948), s. v. Bibel-Illustration, Sp. 478-517; abrufbar im Internet via: RDK Labor, http://www.rdklabor.de/wiki/Bibel-Illustration (27.10.2016); c) Lexikon der christlichen Ikonographie, Sonder- ausg., Bd. 1 (Rom, [u.a.] 1994), s. v. Bibelillustration, Sp. 282-289; s. v. Bible Moralisée, Sp. 289-293; s. v. Biblia Pauperum, Sp. 293-298; d) Lexikon für Theologie und Kirche, Sonderausg., Bd. 2 (Freiburg, [u.a.] 2006), s. v. Bi- belillustration, Sp. 403-404 (mit Hinweis auf Theologische Realenzyklopädie u.a.). Ferner e) Wikipedia, s. v. Buchmalerei, §§ 1-2, 4 (abendländische, byzantinische, jüdische Buchmalerei); https://de.wikipedia.org /wiki/Buchmalerei (27.10.2016).

2 Benannt nach dem Ort ihrer Aufbewahrung, der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien. Die Handschrift ist ein Fragment des ersten Buches der Bibel. Genaueres z.B. im Lexikon der Kunst, Bd. 7 (Neubearb., 1996), s. v. Wiener Genesis, S. 793.

3 Die Bibel in Bildern. 240 Darstellungen, erfunden und auf Holz gezeichnet [...], 2 Bände, 1852 und 1860 erstmals in Leipzig erschienen, zahlreiche Auflagen und Nachdrucke bis in jüngste Zeit.

4 Zu diesen beiden Künstlern siehe: a) Dieter Franck Haus, www.dieter-franck.de (27.10.2016); b) Sieger Köder Museum, www.sieger-koeder-museum.de (27.10.2016). — Das Rahmenthema ist hochaktuell, zumal im Luther- Jahr. Noch bis zum 08.01.2017 zeigt das Deutschordensmuseum Bad Mergentheim die Ausstellung »Botschaft im Bild – Bibelillustrationen aus sechs Jahrhunderten«. »Die Wiedmann Bibel« wird im Jahr 2017 auch in Wittenberg zu sehen sein.

5 Siehe Lexikon der Kunst, Bd. 3 (Neubearb., 1996), s. v. Kontinuierende Darstellung, S. 847-848.

6 Vgl. Die Wiedmann Bibel, https://thewiedmannbible.com/de/ (27.10.2016); dort heißt es, Wiedmann habe mit der sog. »Polykonmalerei« oder »Polykonie« seinen individuellen Stil entwickelt. Und weiter: »Den Namen 'Polykon' leitete er aus den griechischen Worten polýs 'viel' und ikon 'Bild oder Tafel' her. Die Polykonmalerei ist eine Mehrtafel- und Mehrfarbenmalerei, das Spiel der Farben und Formen mit der Unendlichkeit. Einzelne Bilder sind ein Ausschnitt aus einer Sequenz, die beliebig fortgesetzt werden könnte.« — Das graphische Formprinzip dieser Malkunst beruht auf der konsequenten Anwendung des 45°- und des 90°-Winkels. Siehe dazu ergänzend Galerie Wiedmann, https://www.galeriewiedmann.de/galerie/ (04.11.2016), dort den Abschnitt »POLYKONE SYNFONIEN« [sic!].

7 Auch an Piet Mondrian ist hier zu denken. Die bildnerischen Methoden der Klassischen Modernen werden in der zweiten Hälfte des 20. Jhs insbesondere von US-amerikanischen Künstlern aufgenommen und weiterentwikkelt. Stellvertretend seien Ellsworth Kelly (1923-2015) und Frank Stella (geb. 1936) genannt. Kellys Farbfeldmalerei (»Hard Edge«) und Stellas neuartig geformte Leinwände (»Shaped Canvases«) wirkten inspirierend für viele Künstler ihrer Generation.

8 Siehe Die Wiedmann Bibel, https://thewiedmannbible.com/de/ (27.10.2016). Dort auch Weiteres zu Leben und Werk des Künstlers.

9 Siehe Markus-Evangelium 13,10 und Matthäus-Evangelium 28,19-20.

10 So Die Wiedmann Bibel, https://thewiedmannbible.com/de/ (27.10.2016)

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